Anlässlich des 50. Geburtstags der Erfindung des Geldautomaten erinnern wir uns daran als Wolfgang Braunwieser, Geschäftsführer der SBS, im Februar 2007 bei einer ATMIA Konferenz in Orlando die Gelegenheit hatte den Erfinder des Geldautomaten persönlich kennenzulernen.
Die Rede ist dabei von John Shepherd-Barron, der leider am 15. Mai 2010 verstorben ist. Er nahm damals die Gelegenheit wahr, um auf sehr persönliche wie auch humorvolle Weise über die Entwicklung und Einführung der ersten Geldausgabe-automaten zu sprechen. So scheute sich Shepherd-Barron nicht anzumerken, dass er den Grundgedanken des Geldausgabeautomaten in der Badewanne liegend entwarf.
Zum damaligen Zeitpunkt war Shepherd-Barron Managing Director von De La Rue Instruments. Inwiefern sich diese persönliche Erfolgsgeschichte als ausschlaggebend für die Entwicklung des Geldausgabeautomaten erwies, macht Shepherd-Barron selbst deutlich: „Zuerst galt mein Interesse dem Drucken von Geld, dann war es der Transport von Geld. Der nächste Schritt, der mir folgerichtig erschien, war die automatische Ausgabe von Geld. So ließ sich der Prozess vervollständigen.“
Es bedurfte allerdings noch eines alltäglichen Ereignisses, das Shepherd-Barron zur Erfindung des Geldausgabeautomaten veranlasste. Da Shepherd-Barron mit seiner Frau Caroline auf dem Land lebte, bezog er Bargeld von der lokalen Zweigstelle seiner Bank. Seine Gewohnheit war es, dort samstags seine Schecks einzulösen, um für das Wochenende ausreichend Geld zur Verfügung zu haben. Als Shepherd-Barron allerdings eines Tages seine Bank mit verschlossenen Türen vorfand, wurde ihm deutlich, dass dieser Weg der Bargeld-Versorgung eine Hürde darstellen könnte. Dieses kleine Ärgernis sollte große Folgen haben, denn für Shepherd-Barron war es Anlass genug, sich Gedanken zu machen: „In dieser Nacht, in der Badewanne liegend, dachte ich, dass es einen Weg geben müsste, zu jeder Stunde an mein Geld zu kommen. Als das Wasser kalt wurde, fielen mir die Automaten mit den Schokoladenriegeln ein, wie sie damals auf Bahnsteigen oft zu sehen waren. Dort stecke ich einen Penny hinein, ziehe am Hebel und der Schokoladenriegel fällt hinunter in das Ausgabefach.“
„Ein Geldpaket mit 10 Pfund sollte für das Wochenende reichen.“
Nun kombinierte Shepherd-Barron gedanklich weiter. Stapel von ungefähr zehn Geldscheinen sollten in Umschläge verpackt und in das Gehäuse des Tresors gefüllt werden. Das Geldbündel sollte dann aus dem jeweiligen Fach fallen, sobald der Scheck des Benutzers von der Maschine gelesen worden war. Auf dem Scheck sollten diverse Daten verzeichnet sein, um die Sicherheit der Auszahlung gewährleisten zu können. Zudem musste noch eine Methode gefunden werden, mit der der Benutzer automatisch identifiziert werden könne. Dazu war es notwendig, dass jeder Kunde über eine eigene Erkennungsnummer verfügte. Shepherd-Barron dachte in diesem Zusammenhang an die sechsstelligen Erkennungs-nummern, wie sie in der Armee üblich waren. Wie Shepherd-Barron selbst erzählt, sollte es dabei jedoch nicht lange bleiben: „Am nächsten Morgen unter-breitete ich Caroline meine Idee. Sie zweifelte allerdings daran, ob sie sich jemals sechs Nummern würde merken können.“ So wurde der vierstellige Code zum weltweiten Standard.
Noch in derselben Woche stellte sich heraus, welche Bedeutung Shepherd-Barrons Erfindung für das Bankwesen haben sollte. Als Vorsitzender des Security Express war Shepherd-Barron Gastgeber einer der Lunch Partys, die von De La Rue regel-mäßig veranstaltet wurden. Unter den Gästen befand sich auch Harold Davill, der Generalmanager der Barclay’s Bank und Shepherd-Barron zeigte keine Scheu, mit seiner Erfindung an ihn heran zu treten. „Während eines zweiten trockenen Martinis belästigte ich meinen Gast Harold Davill und bat ihn um 90 Sekunden seiner Zeit, um ihm meine noch nicht ausgereifte Idee darzulegen.“ Bereits nach 85 Sekunden kam Davills Antwort: „Wenn ich ein derartiges Gerät entwickeln könne, würde er es auf der Stelle kaufen.“
Zugetragen hat sich dieses kurze Gespräch an einem Freitag und schon am darauffolgenden Montag erhielt Shepherd-Barron Besuch vom CEO der Barclay’s Bank. Was Shepherd-Barron in erster Linie von diesem Treffen in Erinnerung geblieben zu sein scheint, ist, dass der CEO von Barclay’s mit einem Rolls-Royce vorfuhr und es schwierig war, vor Shepherd-Barrons kleinem Büro überhaupt einen Parkplatz für ihn zu finden. Nachdem diesbezüglich eine Lösung gefunden worden war, wandte sich der CEO an Shepherd-Barron und sagte, dass er nicht wieder gehen würde, ehe er einen Vertrag unterschrieben habe. Der Inhalt dieses Vertrages verpflichtete Shepherd-Barron dazu, sechs Proto-typen zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen, gefolgt von weiteren 250 Bargeldverteilern in 50 Zweigstellen. Diese rasche Erfolgsgeschichte erstaunt Shepherd-Barron auch heute noch.
„Können Sie sich das vorstellen – von einer Idee samstagnachts zu einem Vertrag mit einer der größten Banken der Welt innerhalb von nur neun Tagen?“
Am 27. Juni 1967 wurde der erste Geldausgabeautomat in der Zweigstelle der Barclay’s Bank in Enfield, im Norden Londons, in Betrieb genommen. Shepherd-Barron gesteht jedoch, dass die Inbetriebnahme nicht ganz reibungslos verlief. „Ich erinnere mich versucht zu haben, dem Vorsitzenden der Bank beizubringen, wie er seinen vierstelligen Code eingeben müsse – offensichtlich hatte er in seinem ganzen Leben noch keinen einzigen Knopf betätigt! Zuletzt mussten wir die Eingabe von hinten vortäuschen. So lief bei dem Ereignis alles glatt, - zumindest für die BBC Abendnachrichten.“
Das US-amerikanische Kapitel der Erfolgsgeschichte des Geldausgabeautomaten begann 1969 in Florida. Als erster Nicht-Amerikaner wurde Shepherd-Barron zur „American Bankers’ Association automation conference“ eingeladen, um eine Rede zu halten. Shepherd-Barron hatte 15 Minuten zur Verfügung, um sein Bargeld-System zu präsentieren. Auch die Reaktion auf Shepherd-Barrons Präsentation war knapp bemessen: höflicher Applaus, keine Fragen und nur 12 Informationsbroschüren von 2000 ge-druckten konnten verteilt werden.
Die allgemeine Meinung im Publikum schien von der Frage beherrscht zu sein, wer denn schon Bargeld zu jeder Stunde brauche. Sechs Wochen später jedoch bekam Shepherd-Barron einen Anruf von der First Pennsylvania Bank. Die Bank bestellte „sechs von den Dingern, wovon der Engländer in Miami gesprochen hat“. So wenig schmeichelhaft dieses Kapitel in der Geschichte des Geldausgabeautomaten auch klingen mag, so kam der Geldausgabeautomat erstmals in den USA zum Einsatz.
Nachdem die ersten Geräte installiert worden waren, regnete es in London lawinenartig Anfragen von Banken und deren Anbietern. Zu diesem Zeitpunkt begann De La Rue sich als OEM Anbieter für mechanische Geld-Apparate zu positionieren.
SBS Geschäftsführer Wolfgang Braunwieser & John Shepherd-Barron
Foto: ATM Industry Association
Auf die Frage, ob er bei der Erfindung des Geldausgabeautomaten geglaubt habe, dass daraus eine der-artig große Industrie entstehen würde, antwortete Shepherd-Barron: „Ja, ich dachte, dass es das würde. Ich wusste, dass es das Bankwesen verändern würde“.